Vom Produktionsstandort zum Industrial Village
Die Verwandlung des Stammsitzes des Laser- und Werkzeugmaschinenherstellers TRUMPF in Ditzingen, nahe Stuttgart, von einem klassischen Produktionsstandort in ein „Industrial Village” kann exemplarisch für Veränderungen in unserer Arbeitswelt gesehen werden: Seit 1996 ist das Büro Barkow Leibinger damit beauftragt, einen Masterplan für das Areal zu entwickeln und auf dieser Grundlage zahlreiche Bestandsgebäude umzubauen sowie Neubauten zu errichten.
Durch die Einführung der Lasertechnologie ab den 1970er Jahren erlebte das mittelständische Familienunternehmen ein enormes weltweites Wachstum. Als das Büro B-L mit der Arbeit am Masterplan begann, war der Bestand am Stammsitz noch von der im Industriebau typischen Trennung von „White Collar”- und „Blue Collar”-Bereichen geprägt – also einerseits großen Produktionshallen für die Arbeiter:innen in Blaumännern und andererseits separat stehenden, kleinmaßstäblicheren Bürogebäuden für die Verwaltungsmitarbeiter:innen mit ihren weißen Hemdkragen. Die Kantine befand sich in einem der Verwaltungsgebäude im Untergeschoß.
Heute, 30 Jahre später, haben sich zwischen den weiter hochproduktiven Funktionsbereichen Elemente des Alltagslebens breitgemacht – Essen, Trinken und Feiern finden in einem großzügigen, zeichenhaften und frei stehenden Betriebsrestaurant statt, Spielen in der TRUMPF-Kindertagesstätte, Lernen im Ausbildungszentrum, Sport und Freizeit in einem auf das Logistikzentrum aufgesetzten Fitnesszentrum für die Mitarbeitenden, Erholung und entspannter Austausch in hochwertig gestalteten Gärten und Freibereichen.
Die Architektur der Neubauten für das soziale Leben auf dem Campus unterscheidet sich in ihrer Materialität deutlich von den überwiegend durch pragmatische Stahlkonstruktionen und Metallfassaden geprägten Produktionshallen: Dem Betriebsrestaurant und dem Ausbildungszentrum ist ihre polygonale Form gemeinsam, ebenso wie ihre raumprägenden Dachtragwerke, die aus der Untersuchung natürlicher Formen und Strukturen abgeleitet sind. Die Kindertagesstätte greift mit ihrem flach geneigten Satteldach, das als offenes und sichtbares Sparrendach ausgebildet ist, die Architektur benachbarter Bauernhöfe auf. Auf eine nachhaltige Bauweise wurde hier besonders großer Wert gelegt, das Gebäudetragwerk besteht aus vorgefertigten, unverleimten Massivholzelementen. Ebenfalls in Holzbauweise errichtet, zeigt das Fitnesszentrum, wie mit knapper werdenden Flächenressourcen auf einem Firmengelände umgegangen werden kann. Es wurde nachträglich als leichter und luftiger Bau auf eine ungenutzte Dachfläche aufgesetzt, über eine lange Außentreppe erschlossen und öffnet über großflächige Verglasungen weite Blicke in die Landschaft.
Entstanden ist eine Arbeitswelt, durch die man sich ganz anders bewegt, in der man sich anders aufhält, die man anders nutzt als herkömmliche, monofunktionale Betriebsstätten. Die klassische Fabrik hat sich in ein „Industrial Village” verwandelt, in dem es nicht nur um die „performance“ der Mitarbeitenden geht, sondern auch um Gemeinschaft, Wohlbefinden und Identifikation.
M.B.
Martina Bauer, Studium an der TU Berlin und am RMIT, Australien. Bei Barkow Leibinger ab 1999 und seit 2020 Teil der Geschäftsleitung. Seit 2023 Professur und Leitung des Instituts Industriebau und Entwerfen der Universität Stuttgart.