Drei Häuser – ein Stadtraum
Ein Wort oder eine wahllose Anhäufung von Wörtern ergibt noch keinen Satz, keinen Inhalt, keinen Sinn, wie es auch beim Bauen einer bestimmten Grammatik bedarf, einer räumlichen Logik und baulichen Tektonik, um Bauteile zu Häusern und diese Häuser zu einer Stadt, einem Organismus höherer Ordnung zu fügen. Erst eine Grammatik verleiht den einzelnen Bauwerken eine über ihren eigenen Wert hinausgehende übergeordnete stadträumliche Bedeutung.
Der "Gebäude"-Wert einzelner Häuser ist dabei wenig wichtig; oft wirkt ein überzogenes Wertgehabe stadträumlich deplatziert; hingegen gewinnen bescheidene, als gering erachtete Häuser oft stadträumliche Eleganz. Eigenheiten menschlichen Verhaltens wie zurückhaltend, angemessen, präpotent oder arrogant scheinen auch für Häuser in ihrer räumlich-kollektiven Wirkung Relevanz zu haben und den Charakter und die Sympathie für Stadträume wesentlich mitzubestimmen.
Am Areal des ehemaligen Nordbahnhofs in Wien stehen drei Häuser eng beieinander, die eine kleine Gruppe – ein räumliches Ensemble – bilden. Die drei Stadthäuser entwickeln innerhalb einer bestimmten grammatikalischen Kohärenz, eines inneren "Raumplanes", durch die einfach abgestuften blockhaften Bauformen und in der Materialisierung mit Putz und Beton eine feine Differenzierung in der Textur der Öffnungen und den architektonischen Teilformen und damit eine feine Individualisierung im Charakter sowie bezüglich der kulturellen Interpretation eines Wohnhauses.
Aus dem stadträumlichen Umfeld gesehen wirken die Häuser durch die vereinbarten Gemeinsamkeiten homogen als Gruppe, als bauliches Kollektiv; die Differenzen sind weniger präsent. Nähert man sich und bewegt sich durch den engen Stadtraum zwischen den drei Bauwerken mit den bei jedem Haus materiell und räumlich noch mehr differenzierten Eingangsloggien, gewinnt jedes Haus an Individualität und Eigenständigkeit.
Ist der Stadtraum im Wesen materiell und durch Geometrie, Licht und Dimension bestimmt, werden in der Wahrnehmung des Einzelnen die zeitlichen und räumlichen Orte sowie Distanzen substanziell. Die stadträumliche Gewichtung durch wechselnde Distanzen ermöglicht es, am einzelnen Bauwerk Stellen und Bereiche unterschiedlicher Relevanz zu identifizieren und mit materieller Verdichtung oder Akzentuierung das Haus im Stadtraum zu verweben.
W.N.
Werner Neuwirth, geb. 1964 in Bodenmühl, Kärnten. HTL für Hochbau in Villach. Studium der Malerei an der Akademie der bildenden Künste und Studium der Architektur an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien; parallel Assistent am Institut für künstlerische Gestaltung an der TU Wien. 1997–2000 Mitarbeit im Büro Arch. Adolf Krischanitz. Seit 2000 eigenes Architekturbüro in Wien.
Realisierte Projekte (Auswahl): Museum Tauernbahn in Schwarzach, gemeinsam mit Adolf Krischanitz (2002), Fachhochschule Steyr (2004), Wohnbau "generationen:wohnen am mühlgrund" in Wien, gemeinsam mit Hermann Czech und Adolf Krischanitz (2011), Wohnhausanlage Donaufelder Straße in Wien (2012).
Aktuelle Projekte (Auswahl): Wohnbebauung Ernst-Melchior-Gasse in Wien, gemeinsam mit Sergison Bates architects (London) und Ballmoos Krucker Architekten (Zürich).
Auszeichnungen (Auswahl): Preis der Stadt Wien (2013).
Weiterführende Links:
www.2824.org