"Wohnen bedeutet, einen Zustand geschützter Schwäche zu erfahren", meint Peter Sloterdijk – und weiter: "In diesem Sinn bedeutet eine gute Wohnung das architektonische Pendant von Liebe – sie erlaubt dir, in ihr schwach zu sein, ohne dass sie deswegen in eine starke Pose verfiele." Sich dieser Schwäche hingebungsvoll zu nähern erfordert Vertrautheit ebenso wie Empathie und Großzügigkeit. Austerität oder gar Lustverzicht hat hier nichts zu suchen. Mit diesem Wissen suchen wir – mit den sozialen Prägungen eines vergangenen Jahrhunderts und einer neuen Enthaltsamkeit – Antworten auf das Wohnen am Beginn dieses Jahrtausends zu finden. Wir waren noch nie so vernetzt und gleichzeitig dem Verfall der Kontingenz so nahe. Trotzdem domestizieren wir das Neue durch die Bestätigung des Alten. Gesellschaft durch Dichte: eine Position aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts – low rise high density – oder umgekehrt: Clusterwohnen, Co-housing, Selbstbau, Bau-Groups werden in einem eigentümlichen Wiederholungszwang durch eine Multioptionsgesellschaft unreflektiert wieder hervorgerufen. Ohne einen angepassten sozialanthropologischen Ansatz wird hier die Zielgruppe verfehlt.
Die Ursachen einer erneut aufkeimenden Diskussion zum kostengünstigen Bauen sind eminent und breit gestreut. Qualität und Quantität wurden in den letzten Jahren oft zu einseitig den Fragen des Energiemanagements und der Normative geopfert. Gesellschaftliche Veränderungen wurden weitgehend ignoriert. Der Wandel an den Arbeitsmärkten (von Arbeitsnomaden bis zu Leasingarbeitern etc.) wurde zwar mit Unbehagen wahrgenommen, erreichte aber nie die kollektiven Verteilungsstrukturen. Mit der Zunahme der ungenügend Verdienenden und mit steigenden Preisen wurde dahingehend reagiert, dass die Größen der Wohnungen reduziert wurden, um sie „noch leistbar“ zu machen. Im nächsten Schritt sollen im Co-Housing oder in ähnlichen Modellen Infrastrukturen unter dem Titel der familiären Zusammengehörigkeit geteilt werden, und im übernächsten Schritt erleben wir dann vielleicht die Renaissance der Bettgeher.
Entbehrung und Enge als Antwort auf soziale Probleme schaffen unwiderruflich neue Antagonisten. Das maßlose Maßhalten sollte einer hedonistischen Analyse weichen, Messbarkeit muss in den Hintergrund treten, eine von Regelwerken befreite Zugänglichkeit muss geschaffen und die Freiräume, die öffentlichen Räume sollten großzügig miteinbezogen werden.
In zwei Wohnbauten der letzten Jahre haben wir versucht – trotz der bekannten pekuniär begrenzten Voraussetzungen – uns diesem Bild anzunähern. Auch wenn inhaltlich Deckungen aufscheinen mögen, könnten diese beiden Gebäude in ihrem Anspruch und ihrer Entstehung nicht unterschiedlicher sein. Während das eine (frei finanziert) den Citoyen – der tagsüber kaum seine Wohnung nutzt – anspricht, unterliegt das andere den Wohnbau-Förderrichtlinien und zielt auf Familien in einer Region mit starker Abwanderung. Beiden liegt eine tiefgehende Analyse zugrunde, mit dem Ziel, eine der Nutzung angepasste sowohl inhaltliche als auch bauliche Struktur zu finden. Und noch eines ist beiden gemein: Varianz statt Addition.
C.M.
Markus Dorner, geb. 1960 in Bregenz. 1970–1978 Gymnasium Bregenz. Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien, Meisterklasse Timo Penttilä. 1990 Diplom. Danach Mitarbeit bei Prof. Arch. Volker Giencke, Arch. Dipl.-Ing. Otto Häuslmayr und Arch. Dipl.-Ing. Helmut Christen. Seit 2000 gemeinsames Büro mit Christian Matt.
Christian Matt, geb. 1960 in Bregenz. 1970–1978 Gymnasium Bregenz. Studium an der TU Wien. 1993 Diplom bei Prof. Dipl.-Ing. Helmut Richter. 1993 Mitarbeit bei Arch. Dipl.-Ing. Helmut Christen und Arch. Dipl.-Ing. Otto Häuslmayr. 1995 Projektleiter bei Jean Nouvel in Paris. 1997 bis 2000 Projektpartnerschaft mit Ateliers Jean Nouvel/Paris. Seit 2000 gemeinsames Büro mit Markus Dorner.
Realisierte Projekte (Auswahl): Werbeagentur Konzett in Bregenz, Vorarlberg (2002), Haus W in Bregenz, Vorarlberg (2006), Wohnbau Toni Russ Straße in Lochau, Vorarlberg (2006), Haus Übelher in Bregenz, Vorarlberg (2008), Bürohaus Thalbachgasse 2a in Bregenz, Vorarlberg (2008), Wohnbau "Wohnen im Park" in Bregenz, Vorarlberg (2010), Sozialzentrum Haus der Generationen in Götzis, Vorarlberg (2011), Sozialzentrum Haus Klosterreben in Rankweil, Vorarlberg (2011), Passivhausanlage Rheinstraße West in Bregenz, Vorarlberg (2012), Bürogebäude Wohnbauselbsthilfe in Bregenz, Vorarlberg (2013), Umbau Hotel Schwärzler in Bregenz, Vorarlberg (2013), Betriebskindergarten LKH in Bregenz Marianum, Vorarlberg (2014).
Aktuelle Projekte (Auswahl): Thalbachgasse 4 in Bregenz, Vorarlberg, Betreutes Wohnen "Fechtig-Hus" in Bizau, Vorarlberg, Passivhausanlage Fellentor in Lauterach, Vorarlberg, Passivhausanlage Lauterachbach II in Hard, Vorarlberg, Passivhausanlage St. Gallenkirch, Vorarlberg, Pflegeheim Rheindelta der Gemeinden Höchst+Fussach, Vorarlberg.
Auszeichnungen (Auswahl): Preis des Staatssekretariats für Kunst und Kultur – Das beste Haus Österreichs (2005), Innovationspreis für das Haus der Generationen in Götzis, 1. Preis (2008), The international Architecture Award for 2009 (2009), Best of Austria 2008|2009 (2010), best architects 15 (2014).
Weiterführende Links:
www.dorner-matt.at