Vorträge nonstop. ORF RadioKulturhaus Wien. Samstag, 6. März 2010. 13.00 bis 22.00 Uhr.
"Turn On Partner". TU Wien | Kuppelsaal. Freitag, 5. März 2010. 13.30 bis 19.00 Uhr.
Landessonderschule und Internat Mariatal
Klösterliche Schalen
 
Die Geschichte des ehemaligen, 1267 gegründeten Klosters der Dominikanerinnen am Ausgang des Brandenbergtales ist eine Geschichte der Segregation, der freiwilligen und gewaltsamen Absonderung. Der Mantel sachlicher Geschichtsschreibung ist dünn angesichts der Tragik individueller Biografien, die sich im Laufe von 740 Jahren mit dem Ort verbunden haben. Der Umbau reagiert – davon unbeeindruckt – vor allem auf die dynamische Energie der angrenzenden Ache und die dominante Enge des Tales mit dem Gewicht zweier gedrungener Baukörper aus Sichtbeton. Die Idee des mittelalterlichen Klosters ist der motivische Ausgangspunkt für diesen gestalterischen Neuanfang.

"Du darfst sein, wie du bist und werden, wie du sein kannst."
Die Geschichte des Klosters reicht von der Volksmission des Mittelalters über den Stillstand im Zeitalter der Kirchenspaltung, den neuerlichen Aufschwung der Gegenreformation durch barockisierende Umgestaltungen und die Stiftung religiöser Reliquien zum Zwecke der Wallfahrt bis hin zur josephinischen Säkularisierung 1782 und dem neuerlichen Betrieb einer Ordensvolksschule seit 1867. Eine Episode von 1939 bis 1941 als Anhaltelager für geistig behinderte Kinder endete mit dem gewaltsamen Abtransport von 61 Kindern in Vernichtungslager. Nach dem Krieg betrieb das Land Tirol ein Erziehungsheim bis zur Gründung der Sonderschule.

Die 1971 gegründete Sonderschule des Landes hebt sich mit ihrem engagierten Programm mehr und mehr über die Geschichte des Ortes hinaus. Nach obigem Leitspruch werden heute 45 Kinder ganztägig unterrichtet und betreut. Etwa die Hälfte davon lebt im mittlerweile eingegliederten Internat. Mit einem hohen Anspruch an Integration verschiedenster Behinderungen und einer innovativen und gesamtheitlichen Betreuungsidee wuchs ein anspruchsvoller Schul- und Pflegebetrieb, der an die Grenzen der alten Anlage stieß.

Im folgenden Architekturwettbewerb wurden auf Drängen der Teilnehmer schließlich alle Zubauten aus den 1950er und 1970er Jahren zum Abbruch freigegeben, und das Projekt von Marte.Marte nutzte dies zu einer deutlichen Umstrukturierung, die den zuvor zum Fluss offenen Hof stärker schließt und die institutionelle Autonomie von der Pfarrkirche reflektiert. Ein freistehender Schulbau mit Therapiebad und unterirdischem Turnsaal löst einen Anbau an das Kirchengebäude ab und verbindet den Hof über eine bestehende Terrassenanlage mit dem Wiesgarten, einem ummauerten Klostergarten, der heute als riesiger Spielplatz genutzt werden kann. Ein großzügig verglastes Stiegenhaus verbindet den Schulbau mit dem denkmalgeschützten Haupthaus.

Die räumlich sichere Setzung der Gebäude, die vielfältige Durchwegung und die spürbar entstandene Identität bilden aber eine unschätzbare, nachhaltige Substanz, in der sich der ambitionierte Geist dieser Institution sicher einrichten wird.

"Noch nie war Beton so ideal."
Durch die Massivität der Neubauten und die Wiederherstellung des Klosterhofs wird der dominanten Wallfahrtskirche ein räumliches Gewicht entgegengesetzt. Die Kraft der Monolithen wurde durch die Verschiebung der Betonierabschnitte um ein halbes Geschoss noch gesteigert. Die sonst lagerhaften und tektonisch wirkenden Fugen wandeln sich zu Nähten einer durchgehenden Außenhaut. Diese Fassadenstruktur überlagert sich mit dem durchkomponierten Rhythmus einer Lochfassade, die durch geschossweisen Versatz und die Kombination von nur zwei Fenstertypen erreicht wird. Alle Metallflächen bestehen aus golden eloxiertem Aluminium, das eine unerwartet freundliche Stimmung in die steinerne Strenge bringt. Eine sanfte Analogie bietet sich an zu den barocken Altarbauten der benachbarten Pfarrkirche, deren goldene Ornamentik sich über tiefschwarze Holzuntergründe hebt.
Robert Fabach

Bernhard Marte, geb. 1966 in Dornbirn. 1980–1985 HTL Rankweil; prägende Lehrerfigur Erich Steinmayr. 1985–1992 Architekturstudium an der Technischen Universität in Innsbruck. Entwurfshandwerk bei Rainer Köberl, Diplom bei Prof. Othmar Barth. Seit 2009 Gestaltungsbeirat in Linz, Vorstandsmitglied der Zentralvereinigung der Architekten Vorarlbergs.

Stefan Marte, geb. 1967 in Dornbirn. 1982–1987 HTL Rankweil; prägende Lehrerfigur Erich Steinmayr. 1987–1995 Architekturstudium an der Technischen Universität in Innsbruck. Entwurfshandwerk und Diplom bei Rainer Köberl. 1999–2005 Vorstandsmitglied der Zentralvereinigung der Architekten Vorarlbergs. 2004 Vorstandsmitglied vai Vorarlberger Architektur Institut. Seit 2005 Präsident vai.

Seit 1993 gemeinsames Architekturbüro im Rheintalhaus ihrer Kindheit in Weiler/Vorarlberg.
Zahlreiche Publikationen und Ausstellungen, u.a. emerging architecture 01.

Realisierte Projekte (Auswahl): Wohnhaus in Dafins (1999), Leiblachtalsaal in Hörbranz (2001), Werkstätte der Caritas in Bludenz (2001), Bootshaus Steinhauser in Fussach (2001), Ferienhaus Seewald in Furx (2001), Probelokal Musikverein in Batschuns (2002), Landessonderschule Mariatal in Kramsach (2007), Badehaus Metzler in Rankweil (2007), Pathologie Landeskrankenhaus in Feldkirch (2008), Wohnhaus Dr. Germann in Feldkirch (2008), Wohn- und Pflegeheim am Lohbach in Innsbruck (2009), Volksschule in Wels-Mauth (2009).

Aktuelle Projekte (Auswahl): Schulzentrum in Grieskirchen (2010), Sonderpädagogisches Zentrum in Dornbirn (2011), Toleranzbethaus und Museum in Fresach (2011).

Auszeichnungen (Auswahl): Österreichischer Staatspreis für Architektur Industrie und Gewerbe (2004).


Weiterführende Links:
www.marte-marte.com
Projektliste in der nextroom architektur datenbank

   
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