Freitag, 3. März | 10:45

die konstruktion der idee


ich glaube an die methode der „konstruktion einer idee”, praktiziere sie in der lehre, in meiner arbeit und auch als prinzip meines denkenden handelns. demnach ist das, was man so allgemein als die „idee”, als „zündende” idee bezeichnet, für mich nicht mehr als intuition – ein gefühl. damit dieses gefühl zur „idee” wird, bedarf es einer kulturellen reflektion dieser anfänglichen intuition. im italienischen spricht man von „ideare”, was auch entwerfen meint. entwerfen wiederum impliziert, dass reflektiert wird, dass also ein schrittweises überdenken aktiviert wird, was durchaus auch prozesshaft zum gewünschten ziel führen kann. dass also, schritt für schritt, an etwas weitergestrickt wird und wir wohl auch deshalb vom „konstruieren einer idee” sprechen können.
nur genies, von denen es ganz, ganz wenige gibt, sind imstande, den weg von der intuition hin zur fertigen idee innerhalb kürzester zeit zu schaffen, oder beides sofort zu erbringen; dies sollten wir uns stets vor augen halten. leider trägt das weit verbreitete gesellschaftliche verständnis von „idee” zu ebendiesem missverständnis bei. wie oft werden wir von leuten mit der frage konfrontiert: „hast du nicht eine idee dazu?” – und dies sollte sehr schnell gehen, denn ideen hat man. dass diese form von verständnis zu oberflächlichkeit und beliebigkeit führt, liegt auf der hand. dass eine „gute und starke idee” (nicht nur als basis architektonischen handelns) eine gewisse zeit und einen denkprozess benötigt, wohl auch.
methodisch ist die „konstruktion einer idee” nicht genau definierbar; sie unterliegt üblicherweise subjektiven fragen, die man sich stellt. oft oder meist, am beginn, sind es konkrete aufgaben oder überlegungen, die uns nach einer lösung suchen lassen und teil der suche nach dem verstehen sind; nicht selten beginnt dieser prozess der ideeisierung – wie schon oben zum ausdruck gebracht – mit einer intuition. welche rolle hier unser wissen und unsere erkenntnis, unser bewusst- und unterbewusstsein spielen, bleibt unerheblich, denn oft ist es auch nur ein nicht beschreibbares gefühl, unterbewusst eben.
die „konstruktion einer idee”, als bewusster kultureller akt, sollte somit mit der reflektion beginnen, dem nachdenken über dieses gefühl, und mit dem versuch eines „in-verbindung-setzens”, mit der frage nach dem woher dieser intuition und warum sie richtig oder falsch sein könnte, mit dem versuch einer verortung, einer zuordnung. hierfür ist vorab, sozusagen als ein erstes und auch wichtiges werkzeug, ein umgang mit und um geschichte sehr hilfreich, da ohne einen rückgriff auf die geschichte wissen und erkenntnis nicht möglich sind. sie, die geschichte, gibt uns auskunft über die herkunft einer assoziation; sie, die geschichte, ist kollektive erkenntnis, ein teil der gesellschaft, ist uns eine stütze, um den nächsten gedankengang erst zu ermöglichen. Doch wäre ein rein geschichtsorientierter zugang zur „konstruktion einer idee” zu wenig.
adolf loos meinte, man müsse vorab bekanntes evozieren, um neues schaffen zu können. um dieses neue schaffen zu können, bedarf es aber auch anderer instrumentarien. der kultivierte mensch muss neugierig sein, offen für vieles und alles. er möchte so viel wie möglich wissen, möchte sachen in verbindung setzen können, korrelationen herstellen, gesellschaftsphänomene verstehen, noch bevor sie einen vergeschichtlichungsprozess erfahren, solang sie also noch zeitgenössisch sind.
der wissende und erkenntnisorientierte mensch ist kritisch, auch sich selbst gegenüber, weiß, wie er dinge in verbindung zu setzen, wie er zu kommunizieren hat, wo er laut zu sprechen hat, damit er verstanden wird, und wo er auch leise etwas erreichen kann. er weiß, wo er erwartbares zu brechen hat, er pointiert, um „die suppe stets warm zu halten”. aus all diesen aspekten heraus konstruiert er sich „seine idee”. sie leiten ihn in der umsetzung, bieten den überbau zum programm, stellen die haltung dar, mit welcher eben dieses drehbuch „auf kurs gehalten wird”.
w.a.

Walter Angonese, geb. 1961 in Südtirol, Italien. Bis 1990 Werkstudent an der Università Iuav di Venezia, danach zweijährige Mitarbeit am Landesdenkmalamt Bozen. 1992 Gründung von A5 Architekten in Bozen mit Markus Scherer und Elena Galvagnini. Seit 2002 führt er ein eigenes Büro. Gastdozent an verschiedenen europäischen Hochschulen, seit 2011 Professur für Entwurf an der Accademia di architettura, USI, Mendrisio, seit 2021 Direktor.